- Endlich!!! Produktionskosten
bei Neunzigminuten-Filmen senken
- Visuelle Scheinbewegung und
Kontrast
- Gerhard
Schumm
-
-
-
-
- Es handelt sich bei diesem Film
ganz offensichtlich um eine besonders preisgünstige Variante
des Langfilm-Schaffens.
- Man hat den Eindruck, daß
das Motorrad kontinuierlich durch die Gegend fährt und man
selbst als Beobachter vorneweg.
-
- Nur vier frames sind für
diesen Streifen nötig und schon kann einen der Film
stundenlang durch frohgemutes Motorradgeknatter
erfreuen.
-
- Aber was ist bei dem Movie
recht wundersam? Was fällt an dem Flackermovie
auf?
- Es handelt sich ja um einen
Loop von vier frames und es ist dennoch kein Loopanfang, kein
visueller Rücksprung, kein "Gehe zurück auf Anfang" zu
erkennen.
Woran könnte das
liegen?
- Hier sind die 4
frames:
-
|
|
|
|
frame 1
|
frame 2
|
frame 3
|
frame 4
|
- Ich zerschneide mal den Film in
der Form einer analytischen Demontage und schaue was
rauskommt.
- Wie sieht der Film aus, wenn
ich ihn auf die erste Hälfte verkürze, also nur frame 1
und frame 2 verwende?
- Bevor Sie das
Startknöpfchen drücken: Haben Sie eine eine Vorstellung,
eine Vermutung?
-
-
- Das Wunder ist futsch. Derselbe
Loop erzeugt nun nicht mehr eine kontinuierliche
Vorwärtsbewegung. Stattdessen zappelt die Szene, der
Hintergrund hin und her, vor und zurück. Die Anschauung, die
erzeugte (Schein-)Bewegung ist hier dichter am Material dran. Man
sieht frame 1 und frame 2 als Vorwärtsbewegung und frame 2
und frame 3 = frame 1 als Rückwärtsbewegung.
-
- Jetzt ein anderer Schnitt.
Wieder in die Mitte des Films. Und die erste Hälfte des
Movies fliegt raus. Wie sieht das Movie aus dem Negativmaterial
aus?
-
-
- War zu erwarten.
-
- Also muß das Wundersame
zwischen frame 2 und frame 3 und zwischen frame 4 und frame 1
erzeugt werden.
- Die analytische Demontage
nähert sich mit großem Tempo den kritischen Hotspots
des Montageexperiments.
-
-
-
- Anschaulicher Befund:
Stationäres Geflacker ohne Fahrbewegung. Kein Hin- und
Zurück und schon gar keine kontinuierliche Bewegung. Der
Kontrast in den frame-Bildern - hier ein schroffer Negativkontrast
- produziert stationäres Geflacker und keine Scheinbewegung.
An Schnittstellen mit Negativ-Kontrast entsteht keine
Bewegungsillusion.
-
- Schnittstellen zwischen frames
mit Negativ/-Umkehrkontrast wirken als Bewegungsstopper. Die
Vorwärtsbewegung von frame 1 und frame 2 wird an der
Berührungsstelle von frame 2 und frame 3 radikal ausgebremst,
übersprungen, maskiert. Der Rücksprung, der zwischen
frame 2 und frame 3 zu sehen sein müßte, ist durch das
Aneinanderstoßen des visuellen Umkehrkontrasts nicht
sichtbar. Zwischen frame 3 und frame 4 produziert das Auge dann
wieder Scheinbewegung. Zwischen frame 4 und 1 ist die
Scheinbewegung wieder gelöscht.
-
- Oder mit weniger Worten und mit
mehr Film: Das Movie setzt sich aus diesen vier Teilfilmen mit
diesen vier Frame-Schnittstellen zusammen. Jede dieser
Schnittstelle hat eine andere Bewegungswirkung.
Frame-Schnittstellen mit Bewegungsillusion wechseln mit
Schnittstellen ohne Bewegungsillusion.
-
-
Pictorale Umkehrkontraste
erzeugen keine Scheinbewegung. Die Rückwärtsfahrt, das
Rückwärtsspringen fällt aus.
- Klar: Es ist natürlich
kein Schnittproblem die Harley rückwärts fahren zu
lassen, wenn man die Vorwärtssprung-Frameschnitte durch
Negativkontrast maskiert:
-
-
- Ok.
-
- ((Oder vielleicht sollte das
hier noch dazu gesagt werden: der Wahrnehmungspsychologe
lächelt an dieser Stelle, bei diesem Clip milde. Und
schließt aus ihm: der Effekt ist nicht konzeptgebunden. Denn
Motorräder fahren eher selten rückwärts durch die
Landschaft. Die Illusion setzt sich gegen alle Konzepte durch. Sie
ist datengesteuert, wird durchs Sichtbare direkt ausgelöst.
Der Effekt ist auf einer unteren neuronalen Ebene visueller
Datenverarbeitung anzusiedeln.))
-
- Schnittmenschen vertraut ist
die Bewegungsmaskierung unerwünschter Bewegungen durch
Schwarz-Frames. Sie montieren 1-2 frames Schwarz in die
Schnittsttelle rein. Die sieht man als Zuschauer normalerweise
nicht. Das ermöglicht einen noch preisgünstigeren
abendfüllenden Film. Er besteht nur aus 3 Frames und loopt
fast noch buttriger. Zumindest die doch eher langweiligen
Fahrtszenen in Filmen könnten auf die Weise schnell und
billig produziert werden. Bewegungsillusionen zu erzeugen, ist
beim Schnitt wirklich ne einfache Nummer. Montage setzt woanders
an. Noch ein bißchen Sound dazu. Heutzutage wird ja auf
feinstes Sounddesign großen Wert gelegt! Kein
Problem:
-
- Ein Tonfilm
Kleine Anmerkung am Rande: der
Effekt , den die Schwarz-Frames bewirken, hat allerdings eine
andere Ursache als der Effekt durch Negativkontrast, auch wenn
beide Effekte in ähnliche Richtung wirken.
Reizen wir das Phänomen
schnell noch mit einer kleinen visuellen Abstraktion
aus.
- Abstrahieren wird die
Zaunpfähle zu Rechtecken und machen einen feinen
Experimentalfilm der 20er Jahre draus.
-
-
-
-
Zu erklären ist der Effekt auf
der Basis der Theorie des rezeptiven Felds und spezialisierter
neuronaler Richtungsdektoren.
Der Effekt des Umkehrkontrasts
besteht darin, die Richtung wahrgenommener Bewegung umzukehren, so
daß statt der Scheinbewegung zurück zwischen frame 2 und 3
und zwischen frame 4 und 1, das Motorrad sich allein vorwärts zu
bewegen scheint. Folglich entsteht Eindruck kontinuierlicher
Vorwärtsbewegung. Zuerst wurde diese Form der grafischen
Anordnung von Anstis & Rogers (1986) beschrieben. Es ist eng mit
den Vorlagen/Anordnungen der 'quadrature motion' displays (Carney
& Shadlen, 1993) verbunden.
Wie kann die Vier-Schlag-Bewegung
erklärt werden? Die Erklärung wird sichtbar, wenn man in
den Kategorien eines xyt Raums denkt. Eine einfache
Vier-Schlag-Bewegung sind ungefähr so aus:
|
- Ein schwarzer
Balken in frame 1 wandert nach rechts (2), dann mit
einem Umkehrkontrast nach links zurück (3), dann
wieder nach rechts (4) und so weiter.
-
- Das Muster
des in der Fläche und in der Zeit erfolgenden
Kontrastwechsels korrespondiert mit dem rezeptiven
Feld eines neuronalen low-level-Detektors, der auf
nach rechts gerichtete Bewegung abgestimmt ist
(gestrichelte Linien), bietet aber den nach links
ausgerichteten Detektoren keinen stetigen Stimulus.
Das Ergebnis ist stetige, nach rechts gerichteter
anschauliche (Schein-)Bewegung.
|
- Den Text einschließlich
des Motorradmovies habe ich George Mather zu
verdanken.
- Der Bezug zur Filmmontage
stammt von mir.
-
- Mather G, and Moulden B (1980)
A simultaneous shift in apparent direction: evidence for a
distribution-shift model of direction coding. Quarterly Journal of
Experimental Psychology 32, 325-333.
-
- Siehe auch: Website von Stuart
Anstis zum Thema Reversed
phi movement
-
- Literatur
- Adelson E, Movshon A (1982)
Phenomenal coherence of moving visual patterns. Nature 300,
523-525.
- Anstis, S. M. and Rogers, B. J.
(1986) Illusory continuous motion from oscillating
positive-negative patterns: implications for motion perception.
Perception 15, 627-640.
- Barlow, H and Hill R (1963)
Evidence for a physiological explanation for the waterfall
phenomenon and figural aftereffects. Nature 200,
1345-1347.
- Braddick, O. J. (1974) A
short-range process in apparent motion. Vision Research 14,
519-527.
- Carney T, Shadlen M N (1993)
Dichoptic activation of the early motion system. Vision Research
33, 1977-1995.
- Johansson G (1973) Visual
perception of biological motion and a model for its analysis.
Perception and Psychophysics 14, 201-211.
- Kersten D, Mamassian P, Knill D
(1997) Moving cast shadows induce apparent motion in depth.
Perception 26, 171-192.
- Mather G. (1988) Temporal
properties of apparent motion in subjective figures. Perception,
17, 729-736.
- Mather G. (1989) Early motion
processes and the Kinetic Depth Effect. Quarterly Journal of
Experimental Psychology, 41, 183-198.
- Mather G, and Moulden B (1980)
A simultaneous shift in apparent direction: evidence for a
distribution-shift model of direction coding. Quarterly Journal of
Experimental Psychology 32, 325-333.
- Mather G, and Murdoch L (1994)
Gender discrimination in biological motion displays based on
dynamic cues. Proceedings of the Royal Society of London B, 258,
273-279.
- Mather G, Verstraten F, and
Anstis S (1998) The Motion Aftereffect: a Modern Perspective.
Cambridge, Mass: MIT Press.
- Morgan M J (1992) Spatial
filtering precedes motion detection. Nature 355,
344-346.
- Rock I (1983) The Logic of
Perception. Cambridge, Mass.: MIT.
- Smith A, and Snowden R (1994)
Visual Detection of Motion. London: Academic Press.
- Tse, P., Cavanagh, P., &
Nakayama, K. (1998). The role of parsing in high-level motion
processing. In Takeo Watanabe (ed.), High Level Motion Processing.
Cambridge, Mass: MIT Press.
- Wallach H, O'Connell, D.N.
(1953) The kinetic depth effect. Journal of Experimental
Psychology 45, 205-217.